Mit Koptumor Alltag erobern

Kunst, Sport, Gespräche: Mit dieser Therapie will die Uni Münster die Lebensqualität von Gehirntumor-Patienten verbessern. Sogar eine Ski-Freizeit ist angedacht. Am 8. Juni ist Welthirntumortag.

Wäre da nicht die Sache mit dem Hirntumor, es könnte eine ganz gewöhnliche Malgruppe sein. In einem kleinen Atelier in Münster sitzen fünf Frauen vor einem riesigen, weißen Blatt Papier an der Wand. Es gibt Kaffee und Kekse, Schokolade und Biomilch. Im Regal stapeln sich Bücher über Kunst. Auf einem Tisch in der Ecke stehen Pinsel, Spachtel und Farben. Das alles ist Teil einer neuen Therapie des Uniklinikums Münster, die es sonst in Deutschland noch nicht gibt: Sie geht mit Kunst gegen psychische Probleme von Gehirntumor-Patienten an. Am 8. Juni ist Welthirntumortag. Er soll auf die Situation von Hirntumorpatienten hinweisen.

Nach den Zahlen der Deutschen Hirntumorhilfe erkranken jedes Jahr 7000 Bundesbürger an einem bösartigen Tumor im Gehirn. Melanie (Name geändert) ist eine von diesen Menschen. «Ich weiß nicht, ob ich noch zwei Jahre lebe oder fünf oder zehn. Aber ich möchte noch viel von der Welt sehen.» Laut Statistik ist 14 Monate nach der Diagnose jeder zweite Patient tot. Seit zwei Jahren weiß Melanie von der Krankheit in ihrem Kopf. Seit zwei Jahren ist nichts mehr wie vorher.

Die Diagnose Hirntumor ist für viele Patienten ein Schock, sagt Dorothee Wiewrodt, Neurochirurgin und Psychotherapeutin am Uniklinikum Münster. «Die eigene Persönlichkeit und das Gehirn sind eng miteinander verbunden», erläutert die Medizinerin. «Viele Patienten können sich nicht vorstellen, eine Operation unbeschadet zu überstehen.» Etwa jeder dritte Patient leidet im Laufe der Therapie an Angstzuständen oder Depressionen. Wer den Krebs überlebt, hat oft mit dem Leben zu kämpfen.

Die Aufgabe für die fünf Frauen an diesem Vormittag: «Nichts darf weiß bleiben», erklärt Kunsttherapeutin Monika Wigger. Ansonsten ist alles erlaubt. Ein wenig zögerlich macht eine Patientin den Anfang. Mit einem Spachtel malt sie große breite Striche in grün und pink auf das Papier. Ein großer Kreis entsteht. Alle anderen schauen zu. Dann ist die nächste an der Reihe. «Am Anfang haben alle gesagt, sie könnten gar nicht malen», sagt Monika Wigger. «Es geht aber darum, es überhaupt zu tun. Nicht darum, etwas richtig oder falsch zu machen.»

Das neue Konzept des Uniklinikums setzt auf drei Säulen: Kunsttherapie, Sporttherapie und Gespräche mit einer Psychotherapeutin. Die Patienten können alle drei Angebote gleichzeitig wahrnehmen oder auch nur eines.

«Wir verknüpfen den Austausch mit anderen Betroffenen mitunterschiedlichen Aktivitäten», erklärt Wiewrodt. «Oft hat man das Gefühl, man darf gar nichts mehr, weil man lebensbedrohlich erkrankt ist. Vieles dreht sich nur noch um die Krankheit», sagt die Ärztin. Für die körperlichen Beschwerden gibt es eine Reihe von Therapien: Operationen, Chemotherapie und Bestrahlung. Doch die psychischen Probleme blieben dabei bisher weitgehend außen vor.

Jeden Tag spürt Melanie die Auswirkungen des Tumors. Sie kann nicht mehr Vollzeit arbeiten und darf kein Auto mehr fahren. Namen und Wörter fallen ihr einfach nicht mehr ein. Bei der Kunsttherapie kann sie all das hinter sich lassen - zumindest für ein paar Stunden.

Jedes Bild ist ein kleiner Erfolg. «Die Patienten sehen: Auch wenn einige Dinge nicht mehr so gut klappen, können sie trotzdem vieles andere noch lernen», sagt Wigger. Dazu kommt der Austausch mit den anderen Patientinnen. «Alle machen das Gleiche durch», sagt Melanie. In der Gesprächsrunde geht es oft um sehr praktische Dinge wie neue Medikamente oder ein Formular.

Gegen den Tumor selbst kämpfen die Ärzte mit Hilfe von Bestrahlung und Operationen. Das Kunst- und Sportkonzept soll dagegen die Lebensqualität verbessern. Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit der neuen Therapie fehlen zwar noch. Derzeit arbeite man an einem Studienkonzept, sagt Wiewrodt. Doch die positiven Rückmeldungen der Patienten geben den Ärzten in Münster Rückenwind. Die neueste Idee: eine Skifreizeit für Hirntumor-Patienten.

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