Gentests verändern Krebsbehandlung

Können moderne Gentests tausenden Frauen mit Brustkrebs eine Chemotherapie ersparen? Für Ärzte und Pathologen ist noch kein Test perfekt - aber viele halten Molekulargenetik für den richtigen Weg.

«Ihr Krebs verhält sich biologisch so, dass eine Chemotherapie wahrscheinlich keinen zusätzlichen Nutzen bringt.» Werner Schlake weiß, wie frisch operierte Brustkrebs-Patientinnen auf diesen Satz reagieren. «Das löst Freude aus», sagt der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Pathologen mit Sitz in Berlin. Auch wenn es kompliziert klingt, die Kernbotschaft kommt sofort an: Vielleicht keine Chemo, keine Leidenszeit mit Nebenwirkungen wie Durchfall, Übelkeit und Haarausfall. Das Geheimnis hinter solch guten Prognosen sind oft moderne Gentests (Biomarker). Letzte Sicherheit können sie aber nach Einschätzung vieler Experten noch nicht geben.

Gentests, die das Rückfallrisiko für Krebspatienten analysieren, sind in der deutschen Fachwelt umstritten und teuer. Sie lassen sich nicht bei allen Krebsarten anwenden, denn nicht immer ist der Nutzen vorbeugender Chemotherapien belegt. Bei Brustkrebs ist diese Wirkung nachgewiesen - und es ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Auch deshalb stehen Brusttumore beim Thema Gentest im Fokus.

Spezialisten sind vom Nutzen der neuen Möglichkeiten überzeugt. «Wenn wir prognostische Tests wie Gentests konsequent einsetzten, könnte man in Deutschland bei Brustkrebs 5000 bis 10 000 Frauen im Jahr eine Chemotherapie ersparen», urteilt Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums der Universität München. «Bei rund 60 000 Neuerkrankungen im Jahr ist das viel.» Helfen könnten Gen-Tests rund 50 Prozent der Patientinnen, bei denen die Pathologie das Rückfallrisiko mit herkömmlichen Methoden nicht einschätzen könne.

Im Moment gibt es verschiedene Gentests auf dem Markt, aus den USA («Oncotype»), Deutschland («EndoPredict») oder den Niederlanden («MammaPrint»). Sie sind hier in der Regel noch keine Kassenleistung. Denn die Tests sind erst wenige Jahre auf dem Markt, vorausschauende Langzeit-Studien fehlen für Deutschland. Zwölf Brustzentren in Nordrhein-Westfalen bieten in einem Pilotprojekt seit März den US-Test an. Die Kosten übernimmt bislang die AOK für ihre Versicherten. Doch erst in drei bis vier Jahren sollen belastbare Erkenntnisse zum Erfolg des Verfahrens vorliegen.

Kurt Possinger, Krebsspezialist an der Berliner Charité, sieht die Grenzen der Tests. «Sie sind alle Schritte in die richtige Richtung. Aber das ist so, als ob wir bei einem 100-Meter-Lauf nach 50 oder 60 Metern entscheiden sollen, wer gewinnt.» Kein Test sei bisher perfekt. Deshalb bleibe die Chemotherapie die Basis der Therapieform. «Sie ist noch nicht gesichert verzichtbar», betont Possinger. Ihnstören die «Glaubenskämpfe» der Fachwelt. «Es ärgert mich, wenn wir den Amerikanern vorwerfen, ihr Oncotype sei Geschäftemacherei», ergänzt der Klinikchef. Auf dem Gesundheitsmarkt solle bestehen, wer die besten Ergebnisse vorweise - und wirtschaftlich günstig sei.

Studien und Finanzierbarkeit dürften in Zukunft entscheiden, ob sich die Tests als Kassenleistung durchsetzen. Pathologe Schlake macht dabei eine Gegenrechnung auf. «Eine Chemotherapie kostet 10 000 bis 20 000 Euro, ein Gentest bis zu 3000 Euro», sagt er. Der Verzicht auf die Chemo könne also sogar Geld sparen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Ein Teil der Brustkrebspatientinnen wird immer eine Chemo brauchen, weil ihr Krebs zu aggressiv ist. Für diese Erkenntnis braucht man keine Genanalyse.

Nadia Harbeck schätzt aber, dass sich die Tests bei 40 bis 50 Prozent der Brustkrebs-Patientinnen lohnen würden. Nach dem Gencheck gehören zur Entscheidungsfindung auch Rechenexempel. Eine Chemotherapie verbessere die Heilungschancen in der Regel um ein Viertel, sagt die Professorin. Weist der Gentest ein Rückfallrisiko von zehn Prozent aus, verbessere eine Frau nach einer Brustkrebs-OP ihre Heilungschancen also nur um 2,5 Prozent. «Wenn sie aber ein Rückfallrisiko von 40 Prozent hat, verbessern sich die Chancen um zehn Prozent. Das ist viel», erläutert Harbeck. «Damit ist auch das Überleben verbunden. Wenn ich keinen Rückfall habe, überlebe ich.»

Die Ärztin schätzt, dass deutsche Patientinnen ein Plus bei Heilungschancen um mindestens fünf Prozent wollen, um einer Chemo zuzustimmen. Denn sie informierten sich auch über die Langzeitfolgen der Therapien. Die sind zwar extrem selten, aber es gibt sie. Herzmuskelschwäche oder Leukämien seien darunter, sagt Harbeck.

An der Berliner Charité erlebt Kurt Possinger die Lage anders. «Die meisten Frauen sagen zu für eine Chemo», berichtet er. Nur eine Minderheit verlasse sich auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Bei vielen Patientinnen sei die Prognose zwar richtig gut. «Aber die meisten wollen und bekommen eben doch eine Chemo - zur Sicherheit.»

Diese Tendenz kennt auch Nadia Harbeck. «Manche Ärzte machen lieber Chemotherapien, um ja nichts zu verpassen», sagt die Münchnerin. «Das muss man akzeptieren. Das ist ein Schutzbedürfnis für die Patienten.» Pathologe Schlake hält von der Methode «sicherheitshalber Chemotherapie» weniger. «Ein Gentest kann uns sagen, ob eine Patientin davon profitieren würde», sagt er. «Wenn sie das nicht tut, benötigt sie auch keine Chemo.»

Dreh- und Angelpunkt bei einer Entscheidung bleibt das Gespräch zwischen Medizinern und Patientin. Denn Frauen nach einer Brustkrebs-OP können nur eine Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie treffen, wenn sie umfassend, neutral und verständlich informiert werden. Einige Spezialisten zweifeln, ob alle Kollegen dieser Kommunikations-Aufgabe schon ausreichend gewachsen sind.

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