Psychokrieg in der Schule: Mobbingopfer müssen sich Verbündete suchen

Berlin (dpa/tmn) - Es kann ganz harmlos aussehen. Etwa, als Einzige aus der Klasse nicht zu einer Geburtstagsparty eingeladen zu werden. Es kann aber auch ganz brutal geschehen.  Mit dem Gesicht in den Dreck gedrückt zu werden oder Tritte und Schläge abzubekommen. Mobbing kann vielfältige Formen annehmen. Einen richtigen Grund dafür gibt es oft nicht. Doch allen Ausprägungen ist eines gemein: Wer einmal in die Opferrolle geraten ist, tut sich meist schwer, sie wieder abzulegen. Aus eigener Kraft sei das auch nur schwer zu schaffen, sagen Experten. Jugendliche müsse sich deshalb Unterstützung bei Eltern, Freunden oder Lehrern suchen.

Der Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer von der FU Berlin unterscheidet zum einen zwischen verbalen und physischen Mobbingformen wie Lästern, Verhöhnen oder Schubsen. Zum anderen sei das relationale, also das Beziehungsmobbing, zu beobachten: «Da wird zum Beispiel die Freundin erpresst, indem gesagt wird: 'Wenn du mit dem was unternimmst, bist du bei mir untendurch'», erklärt Prof. Scheithauer. Viele Formen von Mobbing würden verdeckt geschehen oder per Handy und in Internetforen ausgetragen.

«Als Laie könnte man denken, dass die ständigen Angriffe auf Geist, Seele und Körper das Schlimmste am Mobbing wären. Doch in Wirklichkeit macht einem Gemobbten die Ohnmacht zu schaffen, aus dem Teufelskreis des Mobbings nicht mehr rauszukommen», schreibt Alex auf seiner Homepage «Schüler gegen Mobbing». Der Schüler wurde selbst jahrelang von Mitschülern getriezt. Bei den Lehrern fand er keine Unterstützung. Alex gründete Ende 2006 eine Internetseite über Mobbing. Dort können Betroffene chatten und sich austauschen.

Auf der Seite erfahren Opfer unter anderem, dass sie nicht alleine sind und, viel wichtiger, dass sie nicht schuld sind: «Zu erfahren, dass es nicht an einem selbst liegt, kann sehr hilfreich sein», sagt Scheithauer. Denn der Auslöser für Mobbing liegt oft im Reich des Banalen: etwa, wenn jemand von der Stadt aufs Land zieht und die dortigen Gepflogenheiten nicht kennt.

Ratschläge wie «Sei mal selbstbewusster, wehr dich mal» seien zwar gut gemeint, nutzten Jugendlichen aber nichts. Dies sei einer der Gründe, warum sie es ihren Eltern meist erst spät erzählen: «Eltern sind oft sehr fordernd und geben Ratschläge, die nicht angemessen sind», sagt Günther Schatz, Vorsitzender der Aktion Jugendschutz in Bayern.Wichtig ist, dass sich Jugendliche Verstärkung suchen. Dass könne der Vertrauens-, der Klassen- oder auch ein neutraler Lehrer sein: «Man muss jemanden finden, dem man vertraut», sagt Scheithauer. Im besten Fall hat man einen Freund oder eine Freundin, die zu einem steht. «Die kann man zum Beispiel auch bitten, mit zum Lehrer zu kommen.» Gibt es die nicht, können sich Jugendliche an eine Beratungsstelle wenden. Das Problem: Unter Schülern herrsche oft ein Code of Silence, der es verbiete, sich einzumischen oder gegen Gleichaltrige vorzugehen.

Damit sich in der Klasse wirklich etwas ändert, hilft die Zivilcourage Einzelner nicht immer weiter. Vielmehr muss eine neue Gruppendynamik entstehen. «Wichtig ist, dass man sagt 'Lass den in Ruhe', wenn ein Mitschüler angegriffen wird», erklärt Scheithauer. Um diese Haltung einzuüben, bietet er seit November 2011 das Präventionsprogramm «fairplayer.manual» an. Gedacht ist es für die Klassen 7 bis 9. Kern des Programms sind Rollenspiele und Übungen, die soziales Lernen fördern und den Klassenzusammenhalt stärken sollen. Lehrer werden dabei speziell von Psychologen geschult.

Manchmal wird jugendlichen Mobbingopfern ein Schulwechsel nahegelegt, oder sie wünschen sich das sogar selbst. Eine Lösung ist das aber nicht. «Für die Täter ist das doch ein Belohnungssystem nach dem Motto 'Wir haben es geschafft'», sagt Schatz. Zudem ermöglichten die Medien schon seit geraumer Zeit eine neue Art von Zugriff. «Über Handy und Internet bin ich immer erreichbar, egal auf welcher Schule ich bin.» Ähnlich sieht es Entwicklungspsychologe Scheithauer: «Das Problem ist, dass dem Schulwechsler immer ein bestimmter Ruf vorauseilt.»

In einigen Fällen kann es dennoch die richtige Lösung sein: Alex, der Betreiber der Seite «Schüler gegen Mobbing» wechselte die Schule - und fand neue Freunde. Die Lästereien und Drohungen hatten endlich ein Ende.

So unterschiedliche Formen Mobbing auch annehmen kann: Einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es nicht. Es gebe zwar Anzeichen dafür, dass Mädchen eher auf der Beziehungsebene mobben. Statistisch nachweisen lasse sich das aber nicht, sagt Scheithauer. Allerdings sei diese Mobbingform vor allem für Mädchen schlimm: «Mädchen haben im Vergleich zu Jungen intensivere Freundschaften und sind in kleineren Gruppen zusammen.» In diesen Konstellationen sei es besonders schmerzhaft, ausgeschlossen zu werden.

Info-Kasten: Merkmale von Opfern und Tätern

Pauschal gebe es keine Täter- oder Opferpersönlichkeiten, sagt Prof. Herbert Scheithauer, Psychologe an der FU Berlin. Trotzdem könne man sagen, dass viele Opfer sozial eher zurückgezogen sind, wenige Freunde haben und bestimmte Auffälligkeiten wie eine andere Religion oder einen Akzent aufweisen. Bei vielen Tätern zeige sich, dass sie selbst Gewalt im Elternhaus erlebt haben und diese Erfahrung nun weitergeben würden.

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