Pflege-WG - Zukunftsmodell für die Altenrepublik Deutschland?

Berlin (dpa) - Henning Scherf lebt es vor. Der Bremer Alt-Bürgermeister (73) wohnt mit teils ebenfalls betagten Freunden unter einem Dach - «Wohngemeinschaft» nennt er es, eigentlich ist es eher ein Mehrgenerationenhaus mit verschiedenen Wohnungen. Geht es nach Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), sollen solche Beispiele vor allem für Pflegebedürftige und Demente Schule machen. Ist die Pflege-WG ein Zukunftsmodell angesichts stark steigenden Pflegebedarfs in Deutschland?

Bahr beansprucht mit diesem Bestandteil der geplanten Pflegereform, den Betroffenen helfen und gleichzeitig die knappen Geldmittel bündeln zu wollen. «Die Menschen wollen so lange wie möglich zu Hause bleiben und nicht ins Heim», sagt er. Deswegen sollen neue Wohnformen für Pflegebedürftige gefördert werden. «Auf lange Sicht kann es auch Kosten sparen.»

Mit neu hinzukommenden 200 Euro pro Monat und Betroffenem soll zum Beispiel eine vierköpfige Wohngruppe in Pflegestufe 1 bis zu 3460 Euro für Pflege- oder Hilfskräfte bekommen können. Konkret könnte das so aussehen, dass die alten Leute selbstständig zusammenleben, sich gegenseitig helfen, aber regelmäßig Pfleger oder Helfer empfangen.

Mit einer neu geplanten 10 000-Euro-Förderung für so eine WG soll es künftig bis zu 20 228 Euro geben, wenn ein Bad und andere Teile der Wohnung behindertengerecht gemacht werden sollen.

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Schnell hagelt es Kritik von Opposition und Verbänden. SPD-Fraktionsvize Elke Ferner hat nach eigenem Bekunden zwar nichts gegen eine solche Förderung einzuwenden. Schließlich stieg schon Ex-SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit ihrer Pflegereform in solche Modelle ein. Doch sie moniert, Bahr plane dafür keine frischen Mittel ein, sondern wolle 30 Millionen Euro verwenden, die für Pflegestützpunkte nicht gebraucht würden. Und: «Die Pauschale für Pflegehelfer reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben.» Wegen geringen Umfangs der Förderung bleibe der Erfolg wohl aus.

Auch die Linke-Fachfrau Kathrin Senger-Schäfer bemängelt: «Bahr schreibt damit prekäre Beschäftigung gesetzlich fest.» Der Paritätische Gesamtverband zeigt sich ebenfalls skeptisch.Doch es gibt auch andere Stimmen. Elisabeth Scharfenberg, Pflegeexpertin bei den Grünen, sagt mit zufriedenem Lächeln: «Bahr folgt damit einem Grünen-Trend.» Scharfenberg propagiert schon seit langem Alternativen zum Heim oder zur Pflege durch oft überforderte Angehörige. Doch sie mahnt: «WGs alleine reichen nicht.»

So bauen Pflegeheime nicht selten ihre Einrichtung um - und fertig ist ein Haus mit mehreren WGs. «Wir wollen keine Förderung von Schein-WGs», sagt Scharfenberg. Bereits heute gibt es Wohngemeinschaften, Häuser mit mehreren Generationen vom Säugling bis zum Sterbenden unter einem Dach sowie Pflegefamilien. Entweder gaben die Betroffenen selbst den Anstoß oder Verwandte. Mitunter sind auch Pfleger die Gründer solcher Häuser, frustriert von der Arbeit im Heim.

Bei ihren Besuchen in entsprechenden Einrichtungen hat Scharfenberg aber auch erfahren: «Man darf das nicht durch die rosarote Brille sehen. Manchmal scheitert es daran, dass es zwischenmenschlich kriselt.» Pflege-WGs können auch psychologische Begleitung brauchen.

Dass die Förderung missbraucht werden könnte, hat das Bahr-Ressort im Blick. Qualitätsstandards und Qualitätssicherung sollen helfen. Und wenn nicht? «Ich denke», sagt der Minister, «nie an das Schlechte im Menschen.»

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