Mit dem Pfeifen im Ohr leben: Was bei Tinnitus hilft

Wer Glück hat, bei dem verschwinden Ohrgeräusche nach wenigen Tagen wieder. Andere Menschen müssen sich daran gewöhnen, mit ihrem Tinnitus zu leben. Oft hilft eine Verhaltenstherapie - sie kann einer Heilung gleichkommen.

Es pfeift, klopft, klingelt, rauscht. Und niemand außer dem Betroffenen kann es hören. Ein Tinnitus spielt sich im Kopf ab. Was ihn auslöst, ist immer noch unklar. Bei manchen Menschen verschwinden die Ohrgeräusche innerhalb weniger Tage von selbst. Andere müssen jahrzehntelang mit ihnen leben. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann dann helfen, nicht mehr ständig darauf zu hören. Forscher aus Mainz haben ein solches Training nun erstmals in Deutschland online angeboten - mit Erfolg.

Was ein Tinnitus ist, dazu gibt es unterschiedliche Definitionen. «Wir sagen, es ist jegliches Ohrgeräusch, das nicht durch externe Quellen hervorgerufen wird», erklärt Maria Kleinstäuber, Psychologin an der Universität Mainz. Am häufigsten hören Betroffene ein Pfeifen, gefolgt vom Rauschen. Ohrgeräusche hat jeder zweite Mensch irgendwann in seinem Leben. Doch 10 bis 20 Prozent müssen über einen längeren Zeitraum mit ihnen klarkommen, schreibt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf seinem Patientenportal Gesundheitsinformation.de.

Was den Tinnitus auslöst, kann in vielen Fällen nicht geklärt werden. «Stress und viel Arbeit alleine verursachen keinen Tinnitus», sagt Prof. Wolfgang Delb von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Chronischer Lärm könne dagegen zu einem Hörschaden und in der Folge zu einem Tinnitus führen. Auch ein sehr lauter Knall oder eine Innenohrentzündung könnten die Ohrgeräusche auslösen, ergänzt Kleinstäuber.

Die Schädigung des Innenohrs führt dazu, dass nicht genügend elektrische Impulse vom Ohr zum Gehirn weitergeleitet werden, so Kleinstäuber. «Das Gehirn versucht dann, zu kompensieren.» Es aktiviert sich selbst, das Ohrgeräusch kann dadurch chronisch werden. «Man kann den Hörnerv durchtrennen. Der Tinnitus bleibt zumeist bestehen», ergänzt Delb.

Ein akuter Tinnitus sei früher standardmäßig mit Infusionen behandelt worden, erklärt der Mediziner. «Es lässt sich aber wissenschaftlich nicht absolut sicher belegen, dass das nützt, wenn auch vieles dafür spricht.» Bei der Hälfte der Betroffenen verschwinde der Tinnitus innerhalb der ersten Tage von alleine – auch ohne Infusion. Wer zusätzlich zu den Ohrgeräuschen unter Hörverlust leidet, dem können Hörgeräte helfen. Sie sollen störende Hintergrundgeräusche ausblenden. Gesprächen zu folgen, wird einfacher. Allerdings sei nicht erwiesen, ob ein Hörgerät auch dannhilft, wenn man keinen Hörverlust hat, erläutert das IQWiG.

Zur Tinnitus-Behandlung werden auch Rauschgeneratoren eingesetzt. Sie erzeugen ein Geräusch, das den Tinnitus überdecken soll. Doch auch ihr Nutzen ist nicht eindeutig wissenschaftlich belegt, sagt Delb, der zu Trends bei der Tinnitus-Behandlung geforscht hat. Gleiches gilt laut IQWiG für Akupunktur und Hypnose, Ohrmagnete, Yoga, Entspannungstechniken, elektromagnetische Stimulation und eine Sauerstofftherapie.

Deshalb bleibt vielen Betroffenen nichts anderes übrig, als mit dem Tinnitus zu leben. Besonders hilfreich dafür ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Die Patienten lernen, negative Gedanken zu erkennen und zu verändern. Und sie erfahren, wie sie durch ihr Verhalten Probleme bewältigen können. Wer beispielsweise ständig auf das Pfeifen hört, kann lernen, sich auf andere Geräusche zu konzentrieren. In der Regel dauert eine KVT wenige Wochen. «Wenn sie sehr gut läuft, kommt sie einer Heilung gleich», sagt Delb. «Den Betroffenen wird im günstigsten Fall das Ohrgeräusch egal.»

Wissenschaftler der Universität Linköping in Schweden übertrugen diesen Therapieansatz auf das Internet und entwickelten ein Online-Training für Patienten mit chronischem Tinnitus. Gemeinsam mit Forschern aus Mainz haben sie dieses Training nun erstmals in Deutschland getestet. Die Studienteilnehmer besuchten entweder eine Gruppentherapie oder absolvierten ein zehnwöchiges Online-Training, bei dem sie selbstständig Texte im Internet herunterladen und Übungsblätter durcharbeiten mussten. Am Ende jeder Trainingswoche konnten sie sich mit ihrem Therapeuten per E-Mail austauschen.

In beiden Gruppen lernten die Teilnehmer Entspannungstechniken und wie sie ihre Aufmerksamkeit vom Tinnitus weglenken können. «Eine Aufgabe ist zum Beispiel, dass man sich eine Apfelsine genau anschaut, an ihr riecht, sie abtastet, sich aufs Schmecken konzentriert», erzählt Kleinstäuber. «Das funktioniert gut. Die Leute sind so gebannt, dass sie nicht mehr an den Tinnitus denken.» Informationen zu den Ohrgeräuschen sollen Ängste abbauen und den Betroffenen Mut machen, aktiv am Leben teilzunehmen - zum Beispiel Sport zu treiben oder auf Partys zu gehen.

Das Online-Training hatte genauso gute Effekte wie die Gruppentherapie. Beide Ansätze konnten die Tinnitusbelastung deutlich senken. Den Teilnehmer fiel es anschließend leichter, den Tinnitus zu akzeptieren. Sie waren ihn zwar nicht los. Aber er beherrschte nicht mehr ihr Leben.

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