Impfkomplikationen: Die Schattenseite der schützenden Spritzen

Jede Arznei, die gegen eine Krankheit wirkt, kann unerwünschte Effekte haben - sogenannte Nebenwirkungen. Das gilt für Impfstoffe ebenso: Sie sollen den Körper vor Infektionen schützen, können aber manchmal genauso zu gesundheitlichen Schäden führen. 

Berlin/Herdecke (dpa/tmn) - Impfungen sind eine segensreiche Erfindung: Sie bieten wirkungsvollen Schutz vor vielen Infektionskrankheiten. Dass sie dennoch immer wieder in der Kritik stehen, liegt daran, dass sie eine Reihe von Nebenwirkungen nach sich ziehen können. Die sind meist harmlos und vorübergehend, in manchen Fällen aber auch so schwerwiegend, dass neben jenen, die Angst vor Nadeln haben, noch manch anderer das prophylaktische Piken scheut.

«Impfungen greifen in unser Immunsystem ein. Das ist nötig, damit sie funktionieren, kann aber wie bei jedem wirksamen Medikament auch mal dazu führen, dass unerwünschte Nebeneffekte auftreten», erklärt Jan Leidel, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut. Am häufigsten seien die sogenannten Impfreaktionen, die bei einigen Prozent der Impflinge auftreten und nicht weiter besorgniserregend sind: Dazu zählen kurzfristige, leichtere Lokal- und Allgemeinreaktionen wie Schmerzen an der Injektionsstelle oder grippeartige Beschwerden.

«Übersteigen die Beschwerden das normale Maß einer Impfreaktion, weil sie etwa sehr stark sind oder lange anhalten, spricht man von einer Impfkomplikation. Mit ihr sollte man zum Arzt», erläutert Leidel. Das gilt zum Beispiel bei langandauerndem hohen Fieber oder wenn sich ein Abszess an der Einstichstelle bildet. Ebenfalls in die Kategorie Impfkomplikation fallen Krankheiten wie die nach drei bis fünf Prozent der Masernimpfungen auftretenden «Impf-Masern» oder allergische Reaktionen auf die Inhaltsstoffe einer Impfdosis.

Impfkomplikationen sind selten - der Prozentsatz der betroffenen Impflinge liegt im Promillebereich - und machen meist nur eine vorübergehende Therapie nötig. Unter den Millionen von Menschen, die Jahr für Jahr geimpft werden, sind aber auch immer wieder solche, bei denen die Spritze schwerwiegende chronische Erkrankungen nach sich zieht. Dann spricht man auch von Impfschäden.

«Wohl zu den bekanntesten zählt das Guillain-Barré-Syndrom, eine Entzündung der Nerven, die zu Lähmungen und Muskelschwäche führen kann», erklärt Martin Hirte von dem Verein Ärzte für individuelle Impfentscheidung in Herdecke (Nordrhein-Westfalen). Ursprünglich eine mögliche Folgeerscheinung bestimmter Infektionskrankheiten, sei das Syndrom auch schon nach verschiedenen Impfungen aufgetreten, darunter jenen gegen Grippe und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Als weiteres Beispiel nennt er Fälle von Impf-Enzephalitis, also Gehirnschäden, die zum Beispiel nach Keuchhustenimpfungen beschrieben wurden.«Impfkomplikations-Verdachtsfälle» sind laut Infektionsschutzgesetz durch den Arzt ans Gesundheitsamt zu melden und werden von Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Robert-Koch-Institut (RKI) eingehend untersucht. Das ist wichtig für die Arzneimittelsicherheit, denn so können Risikosignale erkannt und gegebenenfalls Maßnahmen ergriffen werden: Je nach Ausmaß und Schwere der erkannten Nebenwirkung kann das ein Hinweis auf der Packungsbeilage oder eine Indikationseinschränkung sein, aber auch der Widerruf der Zulassung des Impfstoffs.

Insofern hat die Verdachtsmeldung eine vorbeugende Funktion für künftige Patienten. Doch auch für den unmittelbar Betroffenen ist sie wichtig: Folgt die Komplikation auf eine STIKO-empfohlene Schutzimpfung wie die Dreifachspritze gegen Masern, Mumps und Röteln, hat er Anspruch auf staatliche Versorgungsleistungen. «Das gilt schon, wenn der ursächliche Zusammenhang von Impfung und Erkrankung lediglich wahrscheinlich ist», sagt PEI-Pressesprecherin Susanne Stöcker. Das PEI als Bundesamt für Impfstoffe hat die Aufgabe, alle Verdachtsmeldungen zu bewerten: Dabei wird unter anderem geprüft, ob die Symptome bereits als Nebenwirkung oder Impfkomplikation bekannt sind und ob die unerwünschte Reaktion wissenschaftlich erklärbar ist.

Zudem gilt es, andere potenzielle Ursachen, etwa die Veranlagung für eine Erkrankung oder einen Infekt, der selbige nach sich ziehen kann, auszuschließen. «Das ist oft echte Detektivarbeit», erklärt Stöcker. Besonders schwierig werde es, wenn zwischen Impfung und Erkrankung längere Zeit vergangen ist. «Da ist es oft nicht mehr möglich, alle Daten zu erhalten, die nötig sind, um zu bewerten, ob ein ursächlicher Zusammenhang vorliegt.»

Wohl auch deshalb stehen viele Impf-Spätfolgen nach wie vor in der Diskussion, obwohl sie in verschiedenen Studien als wahrscheinlich erkannt wurden, wie Hirte berichtet: so etwa Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose - an der zu erkranken durch eine Hepatitis-B-Impfung dreimal wahrscheinlicher sein soll als ohne. Zur Klärung der fraglichen Fälle wünscht sich der Arzt mehr Langzeitstudien und eine höhere «Impfschaden-Meldefreudigkeit» in der Ärzteschaft: «Derzeit würde ich die Quote auf zehn Prozent schätzen - viel zu wenig, um ein repräsentatives Bild entstehen zu lassen.» So blieben etwaige ursächliche Zusammenhänge verborgen.

Dass die teils bestehen könnten, schließen auch STIKO und PEI nicht aus. «Es gibt bisher aber keinen eindeutigen Beleg: weder dafür noch dagegen», betont Leidel. Er rät dringend davon ab, eine Impfentscheidung von Eventualitäten abhängig zu machen - um der eigenen, aber auch um der Gesundheit der anderen Willen.

Auch Hirte spricht sich nicht generell gegen das Impfen aus - wohl aber für eine individuelle, bewusste Impfentscheidung. Bevor man sie fällt, sollte man sich nicht nur über den Nutzen klar sein, sondern auch über die Risiken. «Und man sollte genau reflektieren, ob eine Impfung wirklich notwendig ist - die Hepatitis-B-Impfung eines Säuglings mit gesunden Eltern ist es zum Beispiel nicht.»

Info-Kasten: Impfkomplikation oder -schaden melden

Wer den Verdacht hat, in Folge einer Impfung eine Impfkomplikation entwickelt zu haben, sollte umgehend einen Arzt konsultieren. Fallmeldungen können über den Mediziner erfolgen, aber auch direkt an das örtliche Gesundheitsamt oder das Paul-Ehrlich-Institut (Tel.

06103/770, E-Mail: pei@pei.de, Online-Formular http://dpaq.de/K0Hw4).

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