Sprengsatz Betreuungsgeld - oder die Selbstdemontage der Koalition

Nichts ist gut in der Koalition. Ob Pendlerpauschale, Praxisgebühr oder die gescheiterte Schlecker-Rettung: Es ruckelt gewaltig bei Schwarz-Gelb. Auch beim Betreuungsgeld läuft es absolut unrund. Manche sehen sogar die Regierung wackeln. 

Aufstand in der CDU: 23 ihrer Abgeordneten kündigen an, bei dem für 2013 geplanten Betreuungsgeld nicht mitmachen zu wollen. Es ist eine schallende Ohrfeige für die Schwesterpartei CSU und eine Absage an deren Lieblingsprojekt Betreuungsgeld: Dass Eltern künftig Geld dafür bekommen, wenn sie ihre Kinder zu Hause hüten und sie nicht in Krippe oder Kita schicken.

Der Querschuss aus den eigenen Reihen kommt auch einem Affront gegenüber den CDU-Spitzen gleich: Denn die haben noch am 6. November 2011 im Koalitionsausschuss das Betreuungsgeld à la Haderthauer festgeklopft. Im Koalitionsvertrag steht es auch. «Pacta sunt servanda», Verträge sind einzuhalten, schallt es aus Bayern. Das ist auch die stille Botschaft aus Kreisen der Unionsfraktion: Offiziell gibt es am Sonntag keine Stellungnahme, nur den diskreten Hinweis auf den Beschluss vom 6. November.

Brisanz erhält die Sache dadurch, dass die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel Gefahr läuft, mit dem Betreuungsgeld auch selbst zu scheitern. Auch beim Koalitionspartner FDP gibt es viele, die das ungeliebte Projekt lieber heute als morgen fallen lassen möchten. Zumindest in der geplanten Form.

Dabei gibt es selbst in den Reihen der CSU Bedenken gegen das Betreuungsgeld: Die bayerische CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier befürchtet, dass vor allem Familien aus bildungsfernen Schichten das Geld nicht nur zum Wohl ihrer Kinder einsetzen werden.

Mit einer Abstimmungsniederlage wäre die Koalition aber wohl am Ende. Deshalb laufen hinter den Kulissen fieberhafte Bemühungen, den Sprengsatz zu entschärfen. Die FDP brachte bereits Neuverhandlungen ins Gespräch.

Dass das Betreuungsgeld solche Sprengkraft besitzt, liegt auch am koalitionären Problem-Mix: Die Kanzlerin hat beim Fiskalpakt hoch gepokert, muss nicht nur die Kritiker in den eigenen Reihen hinter sich bringen, sondern - für eine Zwei-Drittel-Mehrheit - auch SPD und Grüne. Die CSU will im schwarz-gelben Konkurrenzkampf endlich auch mal wieder punkten. Und trifft dabei auf eine ums Überleben kämpfende FDP, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Ellenbogen ausfährt, um eigenes Profil zu zeigen.

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer warnte bereits, dass bei einer Ablehnung des Betreuungsgeldes auch andere Vereinbarungen hinfällig werden: Die von der FDP betriebeneSteuerentlastung um sechs Milliarden, neue Zuwanderungsregelungen und die Pflegereform.

Überschattet werden die Scharmützel zusätzlich durch die Auseinandersetzungen zwischen FDP und CDU um Benzinpreise und Pendlerpauschale. FDP-Chef Philipp Rösler beklagt die Blockade «wichtiger FDP-Themen» wie Abschaffung von Praxisgebühr und Soli durch die CDU. Im munteren Koalitions-Bashing geht auch Seehofer auf die Liberalen los: Wegen ihrer Verweigerungshaltung bei der Rettung der insolventen Drogerie-Kette Schlecker.

Zurück zum Betreuungsgeld: Viel Zeit für eine einvernehmliche Lösung bleibt nicht. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hat angekündigt, bis zur Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegen zu wollen. Das sind nur wenig mehr als drei Monate. Die Opposition sieht in der geplanten neuen Sozialleistung nur eine «Herdprämie», mit der Frauen von einer eigenen Erwerbstätigkeit abgehalten würden.

Die Kritiker stellen die Grundsatzfrage, ob Eltern überhaupt dafür belohnt werden sollen, ihre Kinder nicht in öffentliche Einrichtungen geben zu wollen. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) kontert genauso grundsätzlich: «Wir haben dem teuren Krippenausbau nur unter der Bedingung zugestimmt, dass daraus keine ideologische Einbahnstraße wird, dass also gleichzeitig auch das Betreuungsgeld kommt. Damit wir endlich auch hierzulande die von den Eltern gewünschte Vielfalt fördern und nicht nur eine Betreuungsform.»

Für den Krippenausbau ist immerhin zugesagt, dass es vom 1. August nächsten Jahres an für 35 Prozent der Kleinkinder Betreuungsangebote geben soll. Ob dieses Ziel erreicht wird, ist vor allem in den westdeutschen Bundesländern mehr als fraglich. Dort stagniert das Angebot derzeit bei im Schnitt 20 Prozent.

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