Melissas Weg zu Gebärdendolmetscher

Seit Monaten kämpfen die gehörlose Melissa und ihre Eltern für einen Gebärdendolmetscher. Denn die Siebenjährige möchte eine normale Schule besuchen. Doch wer trägt die Kosten? Vor Gericht kam es nun zu einem Vergleich - der Kampf ist aber noch nicht gewonnen.

Die Szene vor dem Augsburger Sozialgericht ist ungewöhnlich: Vor dem Richterpult sitzen am Mittwoch zwei Gebärdendolmetscherinnen. Sie übersetzen den gehörlosen Eltern der kleinen Melissa, was Richterin Christiane Hohlen sagt. Mutter und Vater der Siebenjährigen haben gegen den Bezirk Schwaben geklagt - sie wollen, dass er einen Gebärdendolmetscher für ihre Tochter bezahlt. Das Mädchen besucht eine herkömmliche Grundschule in Neu-Ulm. Zuletzt wurde Melissa schon von einem Dolmetscher unterstützt. Wer diesen jedoch langfristig zahlt, ist unklar.

Vor Gericht erscheint die Erstklässlerin nicht. Ihre Eltern wollen sie vor dem Medienrummel schützen, sagt eine Gerichtssprecherin. Der Streit ums Geld dauert bereits Monate an. Die Schülerin sei inzwischen sehr genervt von den ständigen Begutachtungen, erzählt Psychologe Oliver Rien.

Doch es wird weitere geben. Anfang 2013 soll Rien noch einmal feststellen, ob es für Melissa am besten ist, auf eine normale Schule zu gehen - und nicht in ein Förderzentrum. Darauf einigten sich ihre Eltern und der Bezirk in einem Vergleich. Melissas Mutter sagt in Gebärdensprache mehrmals: «Melissa ist noch so klein und dass sie auf solche Barrieren stößt, ist so schade.»

Eine Vertreterin des Bezirks sagt: «Es ist nicht so, dass der Bezirk nicht zahlen will.» Einen Antrag der Eltern auf einen Gebärdendolmetscher hatten die Behörden aber abgelehnt, weil Melissa in einem Förderzentrum besser aufgehoben sei. Die Siebenjährige will aber weiter ihre Neu-Ulmer Grundschule besuchen. Der Bezirk sei wohl anfangs auch etwas überfordert gewesen, sagt Richterin Hohlen. «Es hat sowas ja noch nie gegeben.»

Beim Thema Inklusion steht Bayern noch am Anfang eines langen Prozesses - das sagt auch der Sprecher des Kultusministeriums, Ludwig Unger. «Hier ist noch Lernbedarf auf beiden Seiten - sowohl bei den Bezirken als auch beim Kultusministerium.»

Vor einem Jahr hatte der Freistaat das Inklusionsgesetz beschlossen, das behinderten Schülern den Zugang zu herkömmlichen Schulen ermöglichen soll. Was in der Theorie gut klingt, ist in der Praxis zuweilen noch problematisch, wie der Fall Melissa zeigt.

Ihr Gebärdendolmetscher wird nun bis März 2013 erst einmal über ein Modellprojekt des Kultusministeriums finanziert. Ob anschließend der Bezirk einspringt, wird sich Anfang 2013 nach dem weiteren Gutachten zeigen. In Bayern sind für die Eingliederungshilfe die Bezirke zuständig - in diesem Fall in Form eines Gebärdendolmetschers.

Probleme auf ihrer Schule scheint Melissa nicht zu haben. «Es sind wohl alle ein wenig überrascht, dass es so gut läuft», sagt Richterin Hohlen. In Melissas Zwischenzeugnis stehe, dass sie am Unterricht aktiv teilnehme und ihre Leistungen überdurchschnittlich seien. Gutachter Rien zufolge wäre die Schülerin in einem Förderzentrum unterfordert - an einer normalen Schule kann sie danach besser einen Abschluss erreichen, der ihrem Niveau entspricht. Ihre ebenfalls gehörlosen Eltern hätten Melissa schon früh an Bücher herangeführt, weshalb sie in der Schule Vorteile habe.

Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge hat Bayern bei der Inklusion noch Nachholbedarf. Danach besuchte im Schuljahr 2010/11 gut ein Fünftel aller bayerischen Kinder mit Förderbedarf eine Regelschule. Das war etwas weniger als im deutschlandweiten Durchschnitt mit 22,3 Prozent. Von den Spitzenreitern war Bayern aber sehr weit entfernt: In Schleswig-Holstein gingen im selben Zeitraum 49,9 Prozent aller behinderten Schüler auf eine reguläre Schule.

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