Diabetes und Bewegung

Fast sechs Millionen Deutsche leiden unter Typ-2-Diabetes. Oft hängt die Erkrankung mit Übergewicht und Bewegungsmangel zusammen. Wer regelmäßig körperlich aktiv ist, kann seinen Blutzuckerspiegel senken und braucht als Patient womöglich weniger Medikamente.

Kann man Diabetes wirklich davonlaufen? Eigentlich nein, sagt die Medizin. Und doch hat Prof. Ralf Lobmann vom Bürgerhospital in Stuttgart eine Präsentation zum Diabetes mellitus Typ 2 mit dieser Überschrift versehen: «Der Zuckerkrankheit davonlaufen». Zum einen sei es natürlich eine plakative Zuspitzung, um Aufmerksamkeit für das Thema zu erregen, sagt der Ärztliche Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie. «Aber es ist auch etwas dran.»

«Etwas» bedeutet: Die Stoffwechselstörung ist chronisch, dennoch kann man den Blutzuckerspiegel mit körperlicher Aktivität bis hin zum Ausdauersport deutlich senken. Zwar ist die Krankheit einerseits genetisch bedingt. Neben dem Alter zählen aber auch Übergewicht und Bewegungsmangel zu den Risikofaktoren.

Denn beim Typ-2-Diabetes handelt es sich im Unterschied zum Typ 1 nicht um einen Mangel an dem Hormon Insulin, das den Blutzucker reduziert. Vielmehr entwickeln die Körperzellen eine Insulinresistenz: Das Hormon kann den Zucker (Glukose) nicht mehr in die Zellen leiten. Fettzellen begünstigen diesen Effekt.

Allerdings - und das ist die gute Botschaft - lässt sich der Verlauf der Krankheit beeinflussen: durch gesunde Ernährung in Kombination mit Bewegung, betont Lobmann. Denn durch Bewegung verbrauchen die Muskelzellen mehr Energie und nehmen mehr Glukose aus dem Blut auf.

«Wenn Sie in den ersten zwei Jahren nach dem Auftreten von Typ-2-Diabetes Ihren Lebensstil konsequent ändern, kann der Diabetes wieder sehr weit zurückgedrängt werden», sagt er. «Sie sind zwar immer unter einem hohen Risiko, aber Sie können so weit kommen, dass Sie messtechnisch gesehen eigentlich keinen Diabetes mehr haben.»

Lobmann räumt jedoch ein, dass nur der kleinere Teil der Patienten diesen Weg beschreiten kann oder will. Ein 50-Jähriger tue sich leichter als ein 70-Jähriger, wenn dessen Herz-Kreislauf-System körperliche Belastung nicht mehr vertrage. Für Bewegungsmuffel oder Übergewichtige sei die konsequente Lebensstilumstellung zudem oft «ein Weg mit Schweiß und Tränen».

Der Arzt empfiehlt Anfängern, mit einem Ausdauertraining von wöchentlich dreimal 20 bis 30 Minuten zu beginnen und das Pensumkontinuierlich zu steigern. Als Sportarten kommen zum Beispiel Laufen, Nordic Walking oder Radfahren infrage. Auch Spazierengehen oder Tanzen kann den Blutzucker schon senken. Und warum im Alltag nicht Treppen steigen statt Rolltreppen fahren?

Dass es nicht immer leicht ist, Menschen in ein «bewegtes» Leben zu führen, weiß auch Theo Block. Der 64 Jahre alte Trainer betreut in Minden (Westfalen) im Rahmen des «Diabetes Programm Deutschland» eine Laufgruppe. Bei manchen Diabetikern fange er mit einem langsamen Lauf über gerade mal 150 Meter an und führe sie dann zu längeren Strecken.

Die Motivation in den Diabetiker-Gruppen sei viel höher als die bei gesunden Läufern. «Zwar muss man sich erst zwingen. Aber wenn man es dann gepackt hat, ist die Befriedigung groß», betont Block. Ziel des Kurses seien nicht schnelle Erfolge, sondern die Leute über die neun Monate des Programms bei der Stange zu halten. Wichtig sei ein gesundes Training, denn: «Man sollte nicht internistische Probleme gegen orthopädische eintauschen.»

Auch Andreas Fritsche setzt an der Universitätsklinik Tübingen körperliche Aktivität «als eine der wichtigsten Therapieformen» ein. Doch der Rummel um das Thema Diabetes und Sport ist dem Professor für Ernährungsmedizin und Prävention viel zu groß - und ärgert ihn. «Man ist nicht automatisch übergewichtig oder faul, weil man Zucker hat», erklärt er. Auch unter Diabetikern gebe es schließlich schlanke und sportliche Menschen. «Denen, die krank sind, muss man nicht auch noch die Schuld geben und sagen: Ihr habt zu wenig Sport gemacht.»

Vor seinen Patienten spricht er auch immer von Bewegung, nicht von Sport. «Denn viele Schwerkranke können nicht ins Fitnessstudio oder zum Joggen», erklärt der Sprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Übergewicht gehöre zu den Hauptrisikofaktoren, die Ursache für eine Erkrankung sei eine Sekretionsstörung von Insulin in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Bewegung könne die Betazelle etwas entlasten und die Dosis an Medikamenten verringern. Zwar seien 70 Prozent der Diabetespatienten übergewichtig, das gelte aber auch für die Hälfte der Normalbevölkerung. Diese sei außerdem genauso sport- oder bewegungsabstinent wie Diabetiker.

Der Rat, sich mehr zu bewegen, ist laut Fritsche auch bei anderen Erkrankungen wie Darmkrebs oder Herzinfarkt sinnvoll. Zudem wirke Bewegung umso mehr, je weniger genetisch bedingte Krankheitslast man hat. Doch es gebe keine Krankheit, die so sehr auf den Lebensstil zurückgeführt wird wie Diabetes - auch wenn dieser natürlich eine Rolle spiele. «Ich weiß nicht, warum Diabetes so ein negatives Image der Willensschwäche hat.»

Um erst gar nicht an diesen Punkt zu kommen, sollte jeder Mensch schon vorbeugend auf Bewegung und Ernährung achten. Wer in seiner Familie bereits Fälle von Typ-2-Diabetes hat und damit ein höheres Risiko trägt, könne ihn für sich selbst mit einer gesunden Lebensführung womöglich vermeiden, betont Lobmann.

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