Ärztepfusch: Hüft-OPs und Geburten sind am kritischsten

Nicht immer müssen Behandlungsfehler so gravierend sein wie in Fulda, wo ein Orthopäde 2005 einem Patienten das falsche Knie operiert und 2010 eine Patientin mit lebensbedrohlichen Keimen infiziert hat. Auch kleinere Fehler reichen für den Vorwurf «Ärztepfusch».

Der ältere Herr stürzte nachts auf dem Weg zur Toilette. Er verletzte sich am Wirbel und wurde notoperiert - danach war er querschnittsgelähmt. Seine Krankenkasse war sicher: «Ohne Behandlungsfehler wäre es nicht zur Lähmung der Beine gekommen.» Die Techniker Krankenkasse musste nicht nur zwei Nach-Operationen bezahlen, sondern auch einen Rollstuhl, ein Korsett, den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung. Die Versicherung der Klinik bestritt den Behandlungsfehler, zwei Gutachten bestätigten den Verdacht, die Sache ging vor Gericht und endete mit einem Vergleich: Der Mann erhielt 120 000 Euro, die Kasse 170 000 Euro.

Eigentlich sind Hüft-OPs und Geburten am kritischsten, das zeigt die Erfahrung der DAK. «Bei künstlichen Hüftgelenken kommt es vor, dass das falsche Gelenk eingesetzt wird, beispielsweise stimmen Länge oder Umfang nicht, auch passieren Fehler beim Zementieren, oder das neue Hüftgelenk wird zu tief in den Knochen gebohrt», berichtet DAK-Südwest-Sprecher Claus Uebel. Zweithäufigster Schadensfall seien Geburten. «Zum Beispiel wird der notwendige Kaiserschnitt durch den Arzt zu spät eingeleitet. Dadurch kommt es beim Neugeborenen zu einer zu geringen Sauerstoffversorgung. Diese kann dann zu einer Schädigung des Gehirns und lebenslangen Folgeschäden führen.»

Die Klagefreudigkeit - gerade bei Geschehnissen im Kreißsaal - habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, berichten Ärzte wie Hebammen. «Die Patienten lassen sich nicht mehr so viel gefallen», sagt Franz-Michael Petry, Jurist beim Klinik-Versicherungsmakler Ecclesia. Sie seien, auch dank des Internets, besser informiert. Die Kassen betrieben große Regressabteilungen, um im Schadensfall Geld zurückzufordern, und immer mehr Patientenanwälte böten ihre Dienste an.

«Personenschäden sind sehr viel teurer geworden», weiß der Experte. Vor 20 Jahren habe ein Geburtsfehler mit einem geistig oder körperlich behinderten Kind eine bis eineinhalb Millionen Mark gekostet. «Heute kostet ein billiger Geburtsschaden zwei bis drei Millionen Euro, ein teurer kann in den zweistelligen Millionen-Bereich gehen.» Der Grund: die höhere Lebenserwartung behinderter Kinder. Die Folge: Die Haftpflichtprämien für Ärzte und Krankenhäuser sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen.

Auffällig ist angesichts von mehr Klagen und höheren Schadenersatz-Summen, dass Ärzte und OP-Personal gar nicht mehr Fehler machen als früher: «Wir haben seit sehr vielen Jahren ein ganz stabiles Verhältnis: Bei einem Drittel der Ansprüche kommt es zuSchadenersatz», erklärt Petry. Das bestätigt auch eine dpa-Umfrage unter den hessischen Krankenkassen.

Bei der AOK haben sich im vergangenen Jahr 401 Patienten gemeldet, weil sie dachten, sie wären falsch behandelt worden, bei 98 bestätigte sich der Verdacht. Die AOK erreichte 2011 eine Regresssumme von 1,4 Millionen Euro und damit deutlich mehr als im Vorjahr, wo sie bei etwa gleich vielen Fällen nur rund eine Million Euro zurückbekam. Ähnlich sah es bei der Techniker-Kasse aus.

Bundesweit beschweren sich mehrere zehntausend Patienten an verschiedenen Stellen wegen Ärztefehlern. Allein bei den Gutachterstellen und Schlichtungskommissionen der Ärzteschaft gingen 2010 über 11 000 Beschwerden ein. Die Zahl der offiziell festgestellten Fehler lag bei 2199.

Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der registrierten Toten, die wegen Behandlungsfehlern oder mangelhafter Medizinprodukte starben, bundesweit von 2009 bis 2010 um mehrere hundert auf zuletzt 1634 gestiegen. Die registrierte Zahl sei gestiegen, weil es mehr öffentliche Aufmerksamkeit für medizinische Fehler gebe, erklärte das Aktionsbündnis Patientensicherheit. Als häufigste Todesursachen nannte das Amt mangelnde Desinfektion, Abstoßungsreaktionen bei einer Transplantation und Komplikationen bei der Implantation eines künstlichen Gerätes. Das Aktionsbündnis bezeichnete die Zahl als Spitze des Eisbergs, viele Todesfälle würden nicht erfasst. Es geht von 17 000 Toten durch Arztfehler aus.

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