Tatort Arztpraxis - Druck auf gierige Mediziner wächst

Berlin (dpa) - Für Ärzte, Pharmavertreter und Apotheker bricht möglicherweise eine neue Zeit des Anstands an. Der Großteil agiert nach Einschätzung auch von Ermittlungsbehörden zwar ziemlich korrekt, wenn es um Geld und Abrechnungen geht. Doch viele bewegen sich in einer Grauzone hin zur Korruption - andere praktizieren kriminelle Machenschaften. Jetzt nimmt der Druck auf die schwarzen Schafe zu.

Mit Spannung erwartet die Branche ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Der Große Senat für Strafsachen entscheidet in nächster Zeit, ob Ärzte Amtsträger sind - und sich als solche klar der Korruption schuldig machen können.

Seit Jahrzehnten bezahlen Pharmafirmen und Hersteller von Medizinprodukten und -geräten Mediziner - unter anderem für kleine Arzneistudien. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) nehmen Ärzte mehr als 80 000 Mal im Jahr an einer von über 300 sogenannten Anwendungsbeobachtungen teil. Die Mediziner beobachten die Wirkung neuer Mittel an ihren Patienten, oft ohne deren Wissen. Die Hersteller bezahlen dem Arzt pro Patient 10 bis 1000 Euro. Kritiker wie der Bremer Forscher Gerd Glaeske sagen: Sie wollen die Ärzte gegen Bares dazu bringen, ihre Produkte zu verschreiben.

Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle erwartet nun eine Klarstellung aus Karlsruhe darüber, «welche Kooperationsformen zwischen Arzneimittelherstellern und Ärzten noch zulässig sind».

Der auf Korruption im Gesundheitswesen spezialisierte Fahnder findet das auch dringend nötig. «Bei vielen Ärzten ist über Jahrzehnte die Haltung gewachsen, Anreize zu fordern», sagt Badle. «Es gibt auch Drohungen, sich anderen Pharmaunternehmen zuzuwenden, wenn diese ausbleiben.» Nach dem BGH-Urteil könnten undurchsichtige Praktiken beim Pharmamarketing zu einem großen Tätigkeitsfeld für die Strafverfolgungsbehörden werden, meint der niedersächsische Oberstaatsanwalt Marcus Röske, der per Revision zu einem Verfahren die höchstrichterliche Befassung angestoßen hat.

Die obersten Industrie- und Ärztevertreter haben das Problem erkannt. Per Selbstverpflichtung will die Pharmabranche Zügellosigkeit eindämmen. Die KBV verlangt strengere Gesetze. Röske hofft auf ein «Umdenken bei den Pharmaunternehmen».

Pharma-Einfluss auf Ärzte aber ist nur eine Facette der dunklen Machenschaften im Gesundheitswesen. «Im Moment haben wir viel Arbeit im klassischen Deliktfeld des Abrechnungsbetrugs», sagt Badle. «Teilweise haben wir es mit gefälschten Rezepten zu tun.» Apothekerrechneten aber auch echte Arztrezepte ab, ohne Arznei zu liefern. Es gebe Allianzen zwischen Ärzten und Apothekern. «Das ist alarmierend. In einem Fall gab es einen Schaden von zwei Millionen Euro in neun Monaten.» Insgesamt gehen die Schäden durch solche Taten in die Milliarden - eine genaue Zahl kennt niemand.

Doch immer mehr Fahnder machen Jagd auf Trickser oder Kriminelle in Weiß. Auch die Kassen werden wachsamer. So begann die Techniker Krankenkasse (TK) 2002 mit dem Aufbau einer Ermittlergruppe von anfangs noch vier Mitarbeitern. Mittlerweile sind es 15. «Viele Täter verdienen ohnehin schon Millionen und handeln schlicht aus Gier», sagt TK-Sonderermittler Frank Keller, der früher Polizist war.

Im deutschen Gesundheitsdickicht fühlen sich die Täter oft sicher - krass sind viele Fälle aus Kellers Fahndungsalltag: So kauften Apotheker reihenweise Krebsmedikamente für 300 Euro ein - und rechneten dafür 3000 Euro ab. Über Monate prüften die Ermittler die Abrechnungen zu einem Zahn eines Versicherten. Obwohl der Dentist sich schon das Zahnziehen bezahlen ließ, flatterten der Kasse immer wieder Rechnungen für Füllungen ins Haus. In Schleswig-Holstein rechneten Ärzte Leistungen an Verstorbene ab.

Schlagzeilen gab es, als Berliner Kliniken den Einsatz von Assistenzärzten als Facharztbehandlung abrechneten. Die Ermittler kamen den Tätern filmreif auf die Spur. Ein betroffener Assistenzarzt meldete sich laut Keller zunächst mehrmals telefonisch. Dann traf man sich vorsichtig ein erstes Mal. Oft fallen Betrügereien aber routinemäßig auf. In einer Falldatenbank dokumentiert die TK alle Betrugsfälle, um wie bei einer Rasterfahndung abertausende Abrechnungsdaten auf ähnliche Muster zu untersuchen.

Staatsanwalt Badle meint, der Stellenwert von Recht und Gesetz wachse im Gesundheitswesen allmählich. So habe die Pharmaindustrie begriffen, «dass die Zeichen auf Wandel stehen». Doch er sagt auch: «Bis sich das Bewusstsein wandelt, dauert es lange.»

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