Pflegefall Pflegereform: Zeitbombe Demenz - Problem Finanzen

Berlin (dpa) - In Deutschland tickt eine Zeitbombe. Demenz ist auf dem Vormarsch, und immer mehr Menschen werden pflegebedürftig. Sie leben immer länger, werden dafür aber auch in hohen Jahren zunehmend hinfälliger. Wenn alles so weiter geht wie bisher, sagen Statistiker für 2050 etwa 4,5 Millionen Pflegebedürftige voraus. Heute sind es etwa 2,4 Millionen. Und es zeichnet sich nicht nur ein quantitativer Zuwachs ab: Für das Jahr 2060 - also in knapp 50 Jahren - erwarten Experten allein 2,5 Millionen Altersverwirrte - eine dramatische Entwicklung.

Die Zahlen sind auch schon in der Vergangenheit gestiegen, stetig seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995. Eine rasche Reform sollte nach dem Willen von Schwarz-Gelb her, um wenigstens das Problem der steigenden Belastung abzumildern. Wegreformieren lässt sich die steigende Zahl der Pflegebedürftigen ja nicht. Der frühere Bundesgesundheitsministers und jetzige FDP-Chef Philipp Rösler rief deshalb das Jahr 2011 zum «Jahr der Pflege» aus. Doch nun geht es zu Ende, aber es ist noch nichts Entscheidendes geschehen. Die Pflegereform ist zum Pflegefall geworden.

Es geht um ein heikles Vorhaben. Die Menschen in Deutschland haben sich daran gewöhnt, dass die Ankündigung von Reformen fast immer Leistungsverschlechterungen oder Mehrbelastungen meint. Das ist auch in der Pflege nicht anders: Weil immer mehr Menschen auf Pflege angewiesen sind, sie dabei immer länger gepflegt werden müssen, steigt auch der finanzielle Aufwand. Fazit: Pflege wird also teurer - es sei denn, die bisherigen Leistungen werden gekürzt. Möglicherweise steht am Ende ein Mix aus allem - mit Gewinnern und Verlierern.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr tut sich als Röslers Nachfolger schwer mit einem großen Reformwurf. Sympathiepunkte, das weiß er, sind damit beim Bürger kaum zu holen. Die Koalition kommt folglich bei der Pflegereform auch nur im Kriechgang voran. Erst gab es intern Streit, ob eine Pflege-Zusatzversicherung obligatorisch oder freiwillig sein sollte. Jetzt ist man nach dem Vorbild der Riester-Rente beim Modell des «Pflege-Bahr» gelandet: freiwillig mit staatlichen Zuschüssen als Anreiz.

Kritiker wie der Barmer-GEK-Vizechef Rolf-Ulrich Schlenker warnen vor einem Flop. Damit würden genau jene nicht erreicht, für die eine zusätzliche Absicherung des Pflegerisikos besonders wichtig wäre: die große Zahl von Geringverdienern. Er sieht die Gefahr, «dass die Falschen gefördert werden», Steuergeld durch unerwünschte Mitnahmeeffekte also zum Fenster hinausgeworfen wird.Dass Bahr für eine bessere Versorgung von Demenzkranken den Pflegebeitrag von 2013 an um 0,1 Prozent erhöhen will, nennt Schlenker «vertretbar». Immerhin säßen auch die Arbeitgeber mit im Boot. «Das Umlageverfahren bleibt unangetastet, die Individualisierung des Pflegerisikos begrenzt», lobt er.

Wachsende Ungeduld schlägt dem Gesundheitsminister beim Vorhaben entgegen, einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu installieren. Der würde die bisher drei Pflegestufen durch fünf Bedürftigkeitsgrade ersetzen - und mehr Menschen in die Leistungen der Pflegeversicherung einbeziehen. Drei Milliarden Euro, sagte Barmer-GEK-Vize Schlenker, brauche es, um das ohne Einschnitte umzusetzen.

Lediglich eine gute Milliarde Euro hat Bahr bislang dafür aber via Mini-Beitragserhöhung 2013 eingeplant. «Dass es bei einer Umstellung nicht nur Gewinner gibt, war allen Beteiligten klar», hält er den Kritikern entgegen. Die neue Definition von Pflegebedürftigkeit, um die seit Jahren schon gerungen wird, sei deshalb auch «nicht von heute auf morgen einzuführen». Die Klärung der offenen Fragen sei Sache des Pflegebeirats. Dessen Vorsitzender, Jürgen Gohde, freilich ist über das Hinhalten durch Bahr und die Koalition so verärgert, dass er bereits mehrfach indirekt mit Rücktritt drohte. Das wäre dann der nächste Pflegefall.

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