Patienten als Opfer - Kommt eine neue Sicherheitskultur beim Arzt?

Berlin (dpa) - Jeder kann Opfer werden. Zwischen 17 000 und mehreren 100 000 Menschen sterben nach unterschiedlichen Studien jedes Jahr wegen Ärztefehlern allein in Deutschlands Kliniken. Viele Fälle erscheinen haarsträubend. Nach jahrelangen Debatten will die Koalition Patienten nun mehr Rechtsschutz geben. Die Mediziner sollen künftig weniger über den Kopf der Kranken hinweg handeln - und generell sicherer.

Fallbeispiele ärztlicher Schlichtungsstellen können einem Angst einjagen: Da ist von einem bei einer Operation vergessenen Tuch im Bauch die Rede und von unentdeckten Tumoren. Hier blieb ein Herzinfarkten unerkannt, dort führten eindeutige Laborwerte nicht zur entsprechenden Diagnose. Oft wurden Befunde nur nach langem Drängen von Patienten richtiggestellt. Viele kleinere Fehler werden den Kranken aber auch gar nicht bewusst.

Patienten müssen oft über Jahre kämpfen, bis sie nach Ärztepfusch Recht und Schadenersatz bekommen - wenn sie überhaupt die Kraft dazu haben. Oft bleibt Opfern von Ärztefehlern nur eine Ahnung: Etwas hat nicht gestimmt. Viele fühlen sich nach eilig vorgebrachtem Fachchinesisch des Arztes von Beginn einer Behandlung an unmündig.

Gesundheitsminister Daniel Bahr und seine Justizkollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger - beide von der FDP - setzen an mehreren Stellen an. «Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten (...) in verständlicher Weise sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern», steht in ihrem Entwurf. Die Ärzte sollen alles in Akten festhalten, die Patienten oder - im Todesfall - ihren Erben jederzeit auf Verlangen zugänglich sind. Fehlerberichte sollen für Kliniken Standard werden.

Bei groben Behandlungsfehlern, die einen Schaden nach sich ziehen, soll dieser Fehler automatisch als Ursache gelten - ohne dass der Patient dies erst beweisen muss.

Ist das geplante Gesetz eine FDP-Mogelpackung und bedient die Ärzteklientel, wie die SPD wettert? Oder werden Patienten gestärkt und riskante Fehler vermindert? «Es kreißte der Berg und gebar eine Laus», ist die erste spontane Reaktion der Gesundheitsexpertin des Verbands der Verbraucherzentralen, Ilona Köster-Steinebach. So sei es längst Standard vor Gericht, dass Patienten bei groben Fehlern den Zusammenhang zum Schaden nicht beweisen müssten. Fortschrittlicheres Richterrecht könnte sogar ausgebremst werden.

Die Expertin fürchtet auch künftig Schummeleien. «Ärzte können Dokumentationen weiter handschriftlich anlegen und haben dann leichter die Möglichkeit, diese hinterher zu verändern.» Auch der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hardy Müller, kritisiert, eine Beweislastumkehr zugunsten der Patienten solle es für mehr Fälle geben - und die Dokumentation von Fällen sollte nur noch elektronisch erlaubt sein.

«Wie geht man damit um, wenn ein massiver Verdacht auf einen Behandlungsfehler existiert?», fragt Müller. Er vermisst einen Entschädigungsfonds, aus dem Patienten schnell und unbürokratisch Geld bekommen könnten, ohne erst gegen ihren Arzt vorgehen zu müssen. Müller kritisiert auch, Fehler sollten nicht in einem Zentralregister erfasst werden. Noch vor Monaten hatte der Patientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) sowohl Fonds als auch Melderegister vorgeschlagen.

Laut Müller sollten Ärzte dazu animiert werden, ihre Fehler so umfassend wie möglich zu melden - ohne fürchten zu müssen, dass Staatsanwälte oder Polizei dann darauf zurückgreifen. «Es geht darum, aus Fehlern zu lernen.» Für eine neue Kultur der Aufklärung bräuchte es aus seiner Sicht noch konsequentere Regeln.

Für den Bremer Gesundheitsforscher Gerd Glaeske steht im Vordergrund, dass überhaupt ein Regelwerk kommt. «Bei der Umsetzung und Kontrolle muss das Gesetz Leben bekommen.» Kleinreden sollte man den Fortschritt nicht, dass Patienten künftig stets ihre Akten lesen dürfen, Ärzte mündlich ordentlich aufklären müssen - und alles im Bürgerlichen Gesetzbuch zusammengefasst wird. «Es muss eine Situation geschaffen werden, in der Patienten über die Behandlungsschritte entscheiden können», sagt Glaeske. Die Pläne seien längst überfällig - aber richtig.

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