Organspende kann endgültigen Abschied vom Sterbenden erschweren

Mit dem Durchbruch zur Organspende endet nicht das Ringen zu dem ethischen Problem. Weder bei der Politik noch bei den Betroffenen. Denn es geht dabei um die letzten Dinge. 

Berlin (dpa) - Wenn der Ehemann, die Ehefrau, ein Elternteil oder ein Kind für hirntot erklärt wird, zerreißt das den Angehörigen das Herz. Der geliebte Mensch ist noch warm. Das Herz schlägt noch, die Brust hebt und senkt sich. Doch der endgültige Abschied ist greifbar. Wenn der Todkranke vorher eingewilligt hat, seine Organe zu spenden, dann müssen sich die Angehörigen jetzt verabschieden. Vor dem Eingriff.

Ohne Organspende kann man beim letzten Moment seines Angehörigen dabei sein. Dann können aber Niere, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm des Sterbenden keinem der tausend Menschen das Leben retten, die irgendwo in Deutschland jedes Jahr vergeblich auf ein Spenderorgan warten.

Das ist im Kern der Grundkonflikt, vor dem die Betroffenen im Ernstfall stehen. Es ist eine tiefernste Frage, die in einer Situation der Stille, der inneren Einkehr, vielleicht der Verzweiflung aufkommt. Oder die die Betroffenen für sich dann schon beantwortet haben - im Idealfall lange vorher. Doch wer will sich schon damit auseinandersetzen?

Deswegen ist Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) der Auffassung: «Es geht darum, dass die Debatte in den Familien angestoßen wird.» Die Grünen-Expertin Elisabeth Scharfenberg fordert: «Das Ziel muss eine gute Aufklärung sein. Man muss alle Facetten kennen.»

Es hört sich so einfach an. Alle Mitglieder der Krankenkassen werden ab Sommer angeschrieben. In dem Brief steckt ein Spendeausweis. Man soll ihn ausfüllen. Man kann ihn auch wegwerfen. Später kann man den Eintrag auch auf der elektronischen Gesundheitskarte machen. Doch reicht ein Brief aus, dass sich die Menschen mit der Frage zwischen Leben und Tod auseinandersetzen?

Der Gruppenantrag aller Fraktionen, der nach 15 Jahren Debatte kommen soll, macht nach jetzigem Stand dazu keine konkreten Vorgaben. Muss nicht ein Arzt die Menschen von Angesicht zu Angesicht über die Umstände auf der Intensivstation aufklären? Dann dürften die Mediziner dafür eigenes Honorar beanspruchen.

«Die meisten Menschen würden im Bedarfsfall eine Organspende dankbar annehmen», sagt der Vorstand der Stiftung Organtransplantation, Günter Kirste. Von daher sei es legitim, die Bürger regelmäßig zu einer Entscheidung aufzufordern.Auch zu einem Ja? «Wir wollen penetranter dafür werben, dass sich Menschen für Organspende entscheiden», sagt der 31-jährige CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn. Scharfenberg mahnt nach dem gemeinsam gefundenen Kompromiss: «Es gab eine absolute Übereinstimmung, dass es ganz freiwillig sein soll.» Wer Druck ausübe, riskiere, dass sich die Menschen gerade nicht ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzten.

Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der eine Niere an seine Frau gespendet hatte, belässt es bei der Frage: «Wollt ihr Organspender sein oder nicht?» Gemeinsam mit seinem Kollegen von der Unionsfraktion, Volker Kauder, hat Steinmeier das Thema vorangetrieben. Schon warnt Kauder in «Spiegel Online», die Neuregelung dürfe «nicht durch polarisierende Diskussionen gefährdet werden».

Auch andere Details sind noch offen. So sollen die Angaben nicht nur mit dem altmodischen Spendeausweis, sondern in wenigen Jahren auch elektronisch auf der Gesundheitskarte gespeichert werden können. Doch die Kassen sollen diese Speicherung keinesfalls selbst machen dürfen. Sie sollen nichts über die intime Entscheidung ihrer Versicherter wissen. Aber noch ist unklar, ob es eine Pin-Nummer gibt oder andere Lösungen, so dass Versicherte an einem Terminal in der Arztpraxis ihre Entscheidung auf der Karte eintragen können.

Kritik kommt aber auch von anderer Seite. So kritisiert der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU): «Wir benötigen vor allem eine Regelung auch für diejenigen, die sich nicht erklären.» Auch der Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery macht keinen Hehl daraus, dass er es lieber gehabt hätte, dass die Menschen widersprechen müssen, wenn sie nicht automatisch als Spender gelten sollen. Montgomery hält die Reform nur für einen ersten Schritt. Politik, Ärzte und andere müssten die Menschen sensibilisieren.

Einig sind sich alle Experten, dass es auch auf die Kliniken ankommt. Als Spender kommt man nur infrage, wenn der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt. Von den rund 400 000 Toten in den deutschen Kliniken jedes Jahr gilt das nur bei einem Prozent. Jetzt soll es zumindest flächendeckend spezielle Beauftragte in den Krankenhäusern geben, so dass das Potenzial auch ausgeschöpft werden kann.

Bei George Clooney kann man derzeit im Kino sehen, dass man auch angemessen Abschied nehmen kann, wenn die hirntote Ehefrau ihre Organe spendet. In dem zu Tränen rührenden, aber dabei auch komischen Filmdrama «The Descendants - Familie und andere Angelegenheiten» nimmt Clooney als Ehemann am Krankenbett Abschied - und dann noch einmal. Er und seine beiden Töchter streuen die Asche der Toten ins Meer.

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