Milliardenpolster der Kassen schützt Geldbeutel der Versicherten

Verrückte Versicherungswelt: Die Krankenkassen horten mehr Geld als gedacht. Die Koalition ruft zur Ausschüttung von Prämien aus. Doch daraus wird wohl nichts - nutzen dürfte dies den Versicherten und der Regierung. 

Berlin (dpa) - Daniel Bahr und Doris Pfeiffer waren sich einig. «Lieber einen kleinen Puffer für die höchstschwierige Situation, die immer wieder kommen kann», sagte der FDP-Gesundheitsminister.Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) solle lieber nichts von ihrem Geld abgeben müssen. Und auch die GKV-Verbandschefin meinte: «Sie schwimmt keineswegs im Geld.» Das war im Dezember. Nun, gut zwei Monate später, sind die GKV-Reserven noch größer als damals angenommen. Und der Geldsegen scheint die Einigkeit zerstört zu haben - oder ist der Streit um die Milliarden nur ein Scheingefecht?

Fieberhaft rechnen die Finanzexperten der einzelnen Kassen zwischen Hamburg und München, zwischen Düsseldorf und Dresden derzeit die Zahlen von 2011 zusammen. In wenigen Tagen steht mit der Bilanz fürs vergangenen Jahr schwarz auf weiß fest, wie es um die heiß diskutierte Finanzlage der Versicherungen bestellt ist. Nachlesen kann das dann etwa auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dem eine gewisse Sehnsucht nach sonst nicht recht verplantem Geld nachgesagt wird.

Die ersten Zahlen sind jetzt herausgekommen: Barmer GEK, Techniker Krankenkasse (TK), DAK und die anderen Ersatzkassen erreichten einen Überschuss von rund 1,8 Milliarden Euro. Denn die Ausgaben stiegen nur um 2,8 Prozent je Versichertem statt wie zuvor offiziell geschätzt um 4,2 Prozent. Die AOK rechnet mit einem Überschuss zwischen 1,2 und 1,3 Milliarden. Damit zeichnet sich ab, dass der Gesamtüberschuss mit 4 Milliarden etwa 1 Milliarde Euro höher sein könnte, als es die Bundesregierung noch im Dezember annahm.

Die Reaktionen auf die etwas überraschende Entwicklung waren vorhersehbar. Bahr insistiert, die Kassen sollten ihre Chancen ausloten, Prämien auszuschütten. Der starke Mann der Unionsfraktion in Sachen Gesundheitspolitik, Jens Spahn (CDU), sekundiert, gut dastehende Kassen wie TK, Barmer GEK, AOK Rheinland/Hamburg, AOK Nordwest und AOKplus müssten sich in die Bücher gucken lassen. Zugunsten der Versicherten. «Denn es ist ihr Geld.»

Und die Kassen? Sie mauern. «Diskussionen über mögliche Rücknahmen von Sparbemühungen und Gedankenspiele zur Verwendung der Kassenrücklagen verbieten sich», sagt etwa der Sprecher der größten Kasse, der Barmer GEK. So oder ähnlich klingt es auch bei anderen Versicherungen. Die Barmer GEK erwartete für 2011 zuletzt einen Überschuss von 300 Millionen Euro. Für die besonders erfolgreiche TK wurde der Überschuss in der Branche sogar auf mehr als 700 Millionen Euro taxiert.Wollen die Kassen also auf einem Sack voll Geld sitzenbleiben, einfach weil sie es ohnehin bereits haben? Und will die Politik den Versicherten etwas Gutes tun, so dass diese die Koalition wieder in einem rosigeren Licht sieht? So klar ist die Lage in Wahrheit nicht.

«Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich», mahnt etwa die gesundheitspolitische Expertin der Grünen, Birgitt Bender. Um rund fünf Milliarden Euro könnten die Ausgaben der Kassen die Einnahmen bald wieder übersteigen. Deshalb mahnt sie im Einklang mit den Kassen: «Die Prämienausschüttungen von heute können die Zusatzbeiträge von morgen sein.» Barmer-GEK-Chef Christoph Straub warnt schon länger, der Gesundheitsfonds, aus dem die Kassen ihr Geld bekommen, könne die Ausgaben wohl schon 2013 nicht mehr decken. Im Januar stiegen beim Kassenprimus die Arznei-Ausgaben schon wieder um mehr als 6 Prozent, die Zahl der Klinik-Behandlungen um 5 Prozent. Der offizielle Schätzerkreis für die GKV könnte also noch in diesem Jahr eine düstere Prognose abgeben.

Was dann? Dann könnte 2013 die schwarz-gelbe Gesundheitsreform ihren Realitätstest bekommen. Es müsste dann ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag der Versicherten errechnet werden. Aus dem Fonds müsste dann ein Sozialausgleich an Geringverdiener fließen. Doch 2013 ist Wahljahr.

In der Branche erwartet kaum jemand, dass Bahr und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Wahlkampf ziehen wollen mit dem Beweis, dass ihr Reformmodell in der Realität auch funktioniert. Und falls es nach 2013 eine Regierung mit Beteiligung von SPD oder Grünen geben sollte, dürfte der nach oben offene Zusatzbeitrag plus Sozialausgleich wohl auch nicht wiederbelebt werden. Rot und Grün lehnen die Konstruktion ab.

Deshalb sind sich Bahr und die Kassenmanager vielleicht immer noch darin einig, dass das Geld auf der hohen Kante der GKV vorerst ganz gut aufgehoben ist. Um Zusatzbeiträge zu vermeiden. Und Schäuble? An die Rücklagen der einzelnen Krankenkassen kommt der Finanzminister ohnehin nicht. Dennoch könnte an diesem Sonntag beim Spitzentreffen der Koalition im Kanzleramt ein kleiner Geldfluss in Gang gesetzt werden. Einmalig könnten, wie in der Branche erwartet wird, rund zwei Milliarden Euro von der gesonderten Reserve des Gesundheitsfonds in den strapazierten Bundeshaushalt fließen.

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