Kein neues Leben für Entbindungsstationen

Bassum (dpa) - Ilona Wiegmann und ihre kleine Tochter hatten einfach nur Glück. Hätte die 29-Jährige nicht zufällig am Morgen einen Termin bei ihrer Frauenärztin gehabt - wer weiß, wo sie das Mädchen zur Welt gebracht hätte. Wahrscheinlich nicht im Krankenhaus. Denn im niedersächsischen Kreis Diepholz, wo Wiegmann lebt, haben nach und nach alle Entbindungsstationen dicht gemacht. Fast eine Stunde mit dem Auto musste die werdende Mutter zum nächstgelegenen Kreißsaal fahren. Sie kam rechtzeitig an, weil die Frauenärztin sie vorwarnte; der Vater verpasste die Geburt seines zweiten Kindes.

«Das ist unverantwortlich», meint die 29-Jährige. «Wenn ich erst zu Hause losgefahren wäre, als die Wehen deutlich spürbar waren, hätte ich es nicht mehr geschafft.»

Die nahe gelegene Geburtshilfe in Bassum hatte im Dezember schließen müssen, weil die Fachärzte fehlten. Es handelte es sich um eine sogenannte Belegstation, auf der Gynäkologen aus dem Umkreis Schichten übernehmen. Doch wegen der hohen Belastung sei das für die Mediziner wenig lukrativ, erläutert Brigitte Bösch, die als kaufmännische Direktorin vom St. Ansgar Klinikverbund auch für Bassum zuständig ist.

Ein ganzer Landkreis ohne Entbindungsstation - in Niedersachsen ist das nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Hannover ein Sonderfall. Doch auch in der Lüneburger Heide, zwischen Celle und Uelzen und in anderen bevölkerungsarmen Gegenden müssen Schwangere mehr als eine halbe Stunde Fahrzeit bis zur nächsten Geburtsklinik in Kauf nehmen. Damit liegt Niedersachsen im bundesweiten Trend.

Die Zahl der Entbindungsstationen in Deutschland nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Während es im Jahr 2000 noch 670 gegeben habe, seien es 2010 nur noch 453 gewesen, sagte Moritz Quiske von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Dafür verantwortlich seien neben den sinkenden Geburtszahlen vor allem die hohen Kosten für diese Abteilungen, da zum Beispiel immer ein OP-Team anwesend sein muss, auch wenn es bei vielen Geburten nicht gebraucht wird.

Die Leidtragenden sind in erster Linie natürlich die Frauen. Doch auch das Gesundheitssystem wird dadurch stärker belastet. Ärzte schicken Hochschwangere wegen der langen Anfahrtwege lieber früher ins Krankenhaus, um kein Risiko einzugehen.

«Die Konsequenz ist, dass mehr Geburten eingeleitet oder Kaiserschnitte gemacht werden», sagt Heidi Giersberg, die alsfreiberufliche Hebamme im Kreis Diepholz arbeitet. «Das geht auf Kosten der Patientinnen.»

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe meint: «Unter einer bestimmten Zahl von Entbindungen sinkt die Sicherheit für Mutter und Kind.» Denn auf kleinen Stationen sei das Personal nicht so routiniert, so dass dort eher Fehler passierten, wenn es zu Komplikationen komme, sagt Sprecherin Susanna Kramarz. «Da ist es besser, die Frau fährt eine Stunde in eine Klinik und ist da gut versorgt.»

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