Kaiserschnittrate in 20 Jahren verdoppelt - Klagefreude im Kreißsaal

Fast jedes dritte Kind kommt in Deutschland per Kaiserschnitt auf die Welt. Eine der Ursachen: die neue Klagefreudigkeit im Kreißsaal.

Kaiserschnittgeburt - lebensrettende Alternative oder unnötiger medizinischer Eingriff? Diese Debatte wird seit Jahren erbittert geführt. Neueste Zahlen das Statistischen Bundesamtes belegen: Zuletzt kamen fast 32 Prozent aller Neugeborenen in Deutschland per Kaiserschnitt auf die Welt. Zwei Jahrzehnte zuvor lag der Anteil lediglich bei 15 Prozent.

Einer der Gründe: Ärzte und Eltern legen mehr Wert auf Sicherheit als auf eine natürliche Geburt. «Ein Kaiserschnitt ist die sicherere Option», erklärt Prof. Petra Kolip (Universität Bielefeld), Autorin einer großen Kaiserschnitt-Studie der Uni Bremen. Sicher für Mütter, die aus Sorge um das Kind jedes Risiko ausschließen wollen - und sicher für Ärzte, die Angst haben, verklagt zu werden.

Wenn es Komplikationen gibt bei der Geburt, werden andere Geburtshilfen nur noch selten angewandt: Eine Saugglocke kam 2010 lediglich bei 5,3 Prozent der Entbindungen zum Einsatz, eine Geburtszange bei 0,6 Prozent. Prof. Ulrich Gembruch (Universität Bonn), Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, trauert dem nicht nach: «Saugglocken und Zangen sind Mütter und Kinder immer am traumatischsten.» Er erklärt die steigende Kaiserschnittrate mit dem höheren Durchschnittsalter der Gebärenden. Je älter die Frauen desto häufiger zählen sie zu den Risikoschwangeren. Dazu kommt ein gewisser Schneeballeffekt: Zu den häufigsten Gründen für einen Kaiserschnitt gehört ein Kaiserschnitt bei einer vorherigen Geburt, belegen Daten des BQS-Instituts für Qualität und Patientensicherheit in Düsseldorf. Experten sind sich einig, dass Kaiserschnitte heutzutage weit weniger gefährlich sind als vor 20 Jahren. Komplikationen wie Blutungen oder Infektionen gebe es fast nur bei ungeplanten Operationen, sagt Prof. Gembruch. Er hält die Option Kaiserschnitt für einen Riesenvorteil: «Viele Kinder überleben dadurch, die sonst tot wären.» Wollte man die Kaiserschnittrate so weit wie möglich drücken, «hätte man mit Sicherheit höhere Morbidität und Mortalität».

Die Antagonisten in dieser Debatte, die Hebammen, sehen das völlig anders. «Es werden weit mehr Kaiserschnitte gemacht als nötig», glaubt Susanne Steppat, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband. Sie glaubt nicht, dass es in Krankenhäusern «ein ernsthaftes Interesse an natürlichen Geburten» gibt. Eine Sectio sei für Kliniken leichter planbar, aber für Mütter und Kinder gefährlicher: Die Babys litten häufiger unter Anpassungsstörungen, die Müttersterblichkeit sei höher, die Frauen würden schwerer wiederschwanger, bei nachfolgenden Geburten gebe es mehr Komplikationen, «Bindungsstörungen» zwischen Mutter und Kind seien häufiger. Einig ist sich die Pro- und die Contra-Fraktion eigentlich nur bei einer Diagnose: der neuen Klagefreudigkeit im Kreißsaal. «Die Klagefreudigkeit der Eltern nimmt zu», sagt die Hebamme. «Ärzte machen lieber früher als später einen Kaiserschnitt, damit sie nicht verklagt werden», glaubt die Forscherin. «Es wird heute einfach nicht mehr toleriert, dass ein Kind schlecht geboren wird», weiß der Arzt, «da wird man sofort verklagt.»

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