Jeder kann Opfer von Ärztefehler werden - doch die Lage bessert sich

Berlin (dpa) - Ein stechender Schmerz im Bauch, der auf Oberkörper, Arme und Kopf ausstrahlte. So ging ein 45-jähriger Patient zum Notarzt. Der Arzt veranlasste ein EKG und ließ den Mann wieder nach Hause gehen. Zwei Tage später kam der Mann erneut. Der Arzt schickte den Patienten per Privatauto ins Krankenhaus. Hinterher gaben Gutachter dem Patienten Recht: Schon das erste EKG gab Hinweise auf einen Herzinfarkt - der Mann hätte sofort mit Blaulicht in die Klinik gebracht werden müssen. Immerhin: Er überlebte.

Nun legt eine Statistik nahe: Die Zahl solcher und anderer Ärztefehler ist um rund ein Drittel gestiegen, wenn man die Fälle mit tödlichem Ausgang betrachtet. Kann man überhaupt noch guten Gewissens zum Arzt gehen? 1712 Tote gab es laut der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts 2010 wegen aller möglichen Zwischenfälle in Klinik und Arztpraxis. Zieht man Fälle ab, bei denen die Probleme überhaupt nichts mit der eigentlichen Behandlung zu tun haben, kommt man immer noch auf 1634 Todesfälle - nach 1189 ein Jahr zuvor.

Merkwürdig nur: Verschiedene durchaus seriöse Studien nennen viel höhere Zahlen und gehen von 17 000 bis zu mehreren 100 000 Toten pro Jahr wegen Problemen allein in Deutschlands Kliniken aus.

Eine Erklärung: Das Bundesamt wertet allein die offizielle Zuordnung von Diagnosen zu den einzelnen Patienten-Fällen aus. Doch diese Kodierung ändert sich in der Systematik und in der ärztlichen Praxis immer wieder. Außerdem fehlt es an Daten aus mehreren Jahren, so dass ein Trend nicht herauszulesen ist. «Das ist lediglich ein statistisches Phänomen», sagt Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery.

Doch unbestreitbar sind Ärztepfusch, Organisationsmängel in Klinik und Praxis sowie Verstöße gegen Hygienestandards in der überall herrschenden Hektik ein tödliches Risiko für Millionen Patienten. Erst seit einem ersten großen Forschungsbericht aus den USA von Ende der 90er Jahre weiß man darüber mehr - vorher galten die Betroffenen überwiegend als Opfer ihrer Krankheit.

Knapp zwölf Millionen Euro konnte allein die Techniker Krankenkasse 2011 an Regressen für fehlerhafte Behandlungen von Patienten und Pflegebedürftigen geltend machen. Jedes Jahr beschweren sich rund 40 000 Patienten. Bei den Gutachterstellen und Schlichtungskommissionen der Ärzteschaft gingen zuletzt 11 016 Beschwerden im Jahr ein. Die Zahl der hier offiziell festgestellten Fehler stieg auf 2199. Die Fallbeispiele der Schlichter lassen einem die Haare zu Berge stehen. So wurde einer 58-jährigen Patientin mit Krebs in der Bauchgegend die Nachlässigkeit ihres Arztes zum Verhängnis. Ein Jahr nach einer letzten Behandlung klagte sie bei ihm über Bauchschmerzen, Blähungen und Erbrechen. Mehrfache Sprechstunden- und Hausbesuche später suchte die Frau auf eigene Faust einen Frauenarzt auf - der schickte sie sofort in die Klinik, wo ein Dünndarmkarzinom festgestellt und entfernt wurde. Bei einem 50-Jähriger vergaßen Chirurgen ein Tuch im Bauchraum.

Dass mehr Probleme bei Behandlungen vorkommen, liegt aber auch daran, dass mehr komplizierte Eingriffe gemacht werden. Auch wegen steigender Transparenz in vielen Kliniken scheuen Ärzte weniger als früher das Risiko. «Weil es ein Fehlermanagement gibt, trauen sich die Ärzte auch mehr zu», sagt der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hardy Müller. Laut Gesundheitsforscher Gerd Glaeske gibt es Probleme vor allem bei den niedergelassenen Ärzten. Dort fehle eine Fehlermeldekultur.

Mehr Fehler kommen nach Ansicht der Experten ans Licht, weil sie öfter gemeldet werden, weil das Bewusstsein dafür steigt, weil Patienten kritischer nachbohren. Doch auch in den Kliniken könnte sich laut Experten die anonymen und somit angstfreien Fehlermeldungen weiter verstärken und Abläufe sicherer werden. Die Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink kritisiert deshalb, dass die Koalition bei ihrem Patientenrechtegesetz zu wenig tue. «Der Paragraf über die Krankenhäuser ist windelweich.»

Am Ende scheitert vieles wie immer an den Finanzen. Alfred Dänzer, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, mahnt: «Ein noch intensiverer Einsatz der Kliniken für mehr Sicherheit und mehr Hygiene kostet Geld.»

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