Immer mehr wechseln - was wird aus der privaten Krankenversicherung?

Berlin (dpa) - Für Jürgen Graalmann ist die Sache klar. «Die Zeit der privaten Krankenversicherung als Vollversicherung geht zu Ende», sagt der AOK-Chef. Viele Privatversicherte müssen im neuen Jahr wieder deutlich mehr zahlen. Große gesetzliche Kassen verzeichneten 2011 mehr Zuwanderer von der privaten Krankenversicherung (PKV) als Abwanderer. Auch in der PKV-Branche selbst und bei Schwarz-Gelb wird über die Zukunft der Privatkassen nachgedacht.

Mit seinem Bericht «Flucht aus der Luxusklasse» entfacht der jüngste «Spiegel» einen Zahlenstreit. PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach weist die Darstellung des Magazins als «absurd und nachweislich falsch» zurück - denn mehr Versicherte wanderten von gesetzlichen zu privaten Versicherungen als umgekehrt. 2010 fiel die Bilanz demnach mit 74 500 Versicherten zugunsten der PKV aus, 2009 waren es noch 141 700. Auch 2011 habe die PKV einen positiven Saldo verbucht.

Doch richtig ist auch: Bei den Branchenführern Barmer GEK und Techniker Krankenkasse (TK) gab es mehr Neuzugänge von den Privatkassen. Der Barmer GEK kehrten vergangenes Jahr 18 000 Mitglieder in Richtung PKV den Rücken. 27 600 kamen hinzu. Bei der TK kommt man unterm Strich auf 41 000 Neuversicherte bei 68 000 Zugängen von der PKV.

Graalmann sagt: «Bei uns häufen sich die Anfragen von Privatversicherten, die zur AOK kommen wollen.» Die PKV bekomme die Kosten nicht in den Griff. Ihre Ausgaben für Arznei oder Kliniken stiegen stark.

Teils massive Beitragssprünge von 40 bis 60 Prozent brachten den Privatkassen zum Jahresende Negativschlagzeilen. Vieles in dem gesamten Bereich ist dem Licht der Öffentlichkeit aber verborgen - Geschäftsgeheimnis! Unabhängige Branchenbeobachter gehen davon aus, dass die PKV-Tarife Jahr für Jahr um durchschnittlich mindestens sieben Prozent steigen. Der Anteil der Tarife ohne Steigerung wuchs laut Analysehaus Morgan & Morgan aber von 35 auf 45 Prozent.

Laut gesetzlichen Kassen fangen private Konkurrenten Menschen oft mit Billigtarifen ein - mitunter seien die so günstig, dass sie die gesamte Kalkulation einer Versicherung durcheinanderbrächten.

«Wer sich mit Anfang 30 privat versichert, muss bis zum Rentenalter mindestens eine Verdreifachung der Beiträge einkalkulieren», sagt Ulrike Steckkönig, Gesundheitsexpertin der Zeitschrift «Finanztest». Von Anfang an müsse man sich über seineFinanzlage einigermaßen sicher sein. «Sonst sollte man tendenziell in der gesetzlichen Versicherung bleiben, denn für viele ist es sonst ein Weg ohne Rückkehrmöglichkeit.»

Bei Angestellten muss das Einkommen für mindestens ein Jahr unter die Versicherungspflichtgrenze von 50 850 Euro pro Jahr sinken. Selbstständige müssten überdies in ein Angestellten-Verhältnis wechseln. Eine Rückkehr in die gesetzlichen Kassen ist in der Regel aber nur bis zum Alter von 55 Jahren möglich.

Sonst bleibt nur der Wechsel in einen anderen Tarif beim eigenen Privatversicherer. Doch auch das ist alles andere als einfach, wie der Mitbegründer der Beratungsfirma Widge.de, Ozan Sözeri, sagt: «Fehlinformationen oder fehlende Informationen sind die häufigsten Methoden.» Viele Versicherer versuchten, Wechselwillige gezielt abzuschrecken.

Wie geht es weiter mit der PKV? Die Branche selbst sieht sich wegen Altersrückstellungen von insgesamt 158 Milliarden Euro offiziell als Zukunftsmodell. 8,95 Millionen Menschen haben eine private Vollkrankenversicherung. Doch einige große Versicherer haben wegen ihrer vielen älteren, teuren Versicherten laut Branchenexperten Probleme. Bereits vor wenigen Jahren sorgten Berichte für Aufsehen, nach denen in großen Versicherungskonzernen selbst über einen Abschied von der Vollversicherung nachgedacht wurde. Die Einführung einer Einheitsversicherung mit Grundschutz für alle könnte dann das Feld für mehr lukrative Zusatzversicherungen bereiten. Ähnliche Überlegungen gibt es in den Reihen der Koalition, auch in der Union.

SPD und Grüne wollen mit der Bürgerversicherung dagegen einen Vollschutz für alle - die PKV würde dann kaum noch gebraucht. Und auch die gesetzlichen Kassen wollen von einem Leistungsabbau nichts wissen. So mahnt etwa Barmer-GEK-Chef Christoph Straub: «Ich kenne kein Konzept einer medizinisch, ökonomisch und politisch sinnvollen Grundversorgung. Die GKV muss eine echte Vollversicherung bleiben.»

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